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VERWUNDETES ISRAEL

Im Spannungsfeld - Teil 2

von Brigitte B. Nussbächer

Wie wir Israels Kampf mit der Hamas sowie den Angriff des Irans hautnah erleben und mit welchem Auftrag wir schließlich wieder nach Deutschland zurückkehren.
Unsere Israel – Eindrücke, Begegnungen und Erfahrungen im April 2024.

Teil 1 des Artikels mit den Erlebnissen der ersten Tage finden Sie hier.

Davidstern grün
Jerusalem bei Nacht

Erstveröffentlichung: 1. Juni 2024

Deutsch:  Israel Heute     CFFI

Englisch:  Israel Today

Copyright ©  Brigitte B. Nussbächer; Abdruck nur nach vorheriger Genehmigung

Vorboten des iranischen Angriffs

Während der fünf Tage, seitdem wir in Israel sind, werden die Drohungen betreffs des iranischen Angriffs immer lauter. Am Freitag, den 12. April wird es dann ganz konkret. Wir werden vom Deutschen Auswärtigen Amt kontaktiert. Es wird uns empfohlen, in der Nähe des Schutzraumes zu bleiben und darin Wasser, Lebensmittel und Medikamente vorzubereiten. Die Schlagzeilen in den israelischen Medien lauten: „Israel bereitet sich auf einen direkten Raketenangriff aus dem Iran innerhalb von 24 bis 48 Stunden vor!“ Washington weist seine Mitarbeiter und Diplomaten an, ihre Domizile nicht zu verlassen. Egal in welche Medien man sieht, überall schreien einem die Warnungen entgegen.

Wir haben für Freitag Besuche bei von dem Krieg betroffenen Familien geplant, die uns die Ortschaft zeigen wollen, aus der sie vor sechs Monaten evakuiert wurden: Kerem Shalom, ganz im Süden Israels - mehr als 2 Stunden Fahrt entfernt. Sie wünschen das, trotz der bedrohlichen Lage. Ein ganz praktisches Beispiel, wie man der Gefahr trotzt und sich der Gewalt nicht beugt. Gerade die Bewohner der Grenzregion haben lange Erfahrung damit. Aber erst, nachdem wir die beeindruckende Geschichte von Roni und Ofers Einsatz als medizinische Ersthelfer während des Hamas Angriffs  gehört haben, (über die ich bald im Artikel „Das Erbe des 7. Oktober“ detailliert berichten werde), verstehen wir richtig, wie überaus mutig und unerschrocken sie tatsächlich sind.

Für uns ist so eine Situation ein absolutes Novum. Wann wurde einem in den letzten 70 Jahren in Westeuropa empfohlen, sein Haus wegen der Gefahr eines militärischen Angriffs nicht zu verlassen? Aber wir sind nicht als Touristen hier. Wir sind mit dem Ziel gekommen, uns mit Israel eins zu machen, anzupacken und zu helfen, wo wir können; Zeitzeugen zu sein. So entscheiden wir, trotzdem zu fahren.

Tatsächlich finden am 12. April „nur“ Angriffe aus dem Libanon auf Galiläa mit über 40 Raketen statt und in Samaria (Westbank) wird ein israelischer Hirtenjunge von Arabern entführt und zu Tode gesteinigt. In Folge kommt zu heftigen Zusammenstößen zwischen Palästinensern und der IDF, die den Jungen sucht.

Unterstützung in Kerem Shalom

Sofern das überhaupt möglich ist, werden die Drohungen am nächsten Tag, Samstag, den 13. April noch heftiger. Auch Bekannte aus Israel schreiben uns, dass sie sich nicht mehr von ihrem Schutzraum wegbegeben. Wir haben uns in unserem Hotel erkundigt, was wir tun können. Es wurde uns ein Lagerraum gezeigt, der verstärkte Wände hat und eine Metalltüre. Natürlich können wir hier nichts vorbereiten oder für den Notfall lagern.

An diesem Tag sollten wir nach Kfar Azza fahren, einem der am stärksten zerstörten Kibbuzim neben dem Gazastreifen. Ralph wollte uns die tragische Geschichte des Ortes erzählen, in dem er und seine Familie die letzten 44 Jahre wohnten. Wir fragen, ob wir trotz der Warnungen kommen sollen. Wir möchten ihn auf keinen Fall in Gefahr bringen – auch für ihn sind es mehrere Stunden Fahrt. Seine Antwort ist ein deutliches Ja, er möchte sich dem Terror nicht beugen. Wir fahren also wieder in Richtung Süden los. Am Schabbat gibt es sowieso wenig Verkehr, aber jetzt ist kaum ein Auto auf den Straßen. Wir haben uns erkundigt, was wir tun sollen, wenn uns ein Angriff auf dem Weg überrascht: das Fahrzeug verlassen, sich auf den Boden legen und den Kopf mit den Händen schützen. Auf Autobahnen und Überlandstraßen gibt es sonst keine Schutzmöglichkeiten.

In Kfar Azza hören wir deutlich Maschinengewehrfeuer, Bomben und Drohnen im nahen Gaza. Teilweise ist es so laut, dass es schwer wird, Ralph zu verstehen. Er zuckt nicht mit der Wimper – uns fällt es schwerer, so gelassen zu sein. All das, was wir bisher nur aus Schilderungen und Filmen kannten, umgibt uns jetzt. Wir gehen über verbrannten Boden und stehen vor Ruinen – begleitet von der düsteren Schicksal-Symphonie der Kämpfe ganz in der Nähe. Ab jetzt sprechen wir als Augenzeugen.

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Begegnung in Kerem Shalom

Umso mehr freuen wir uns über die Treffen, die ganz normal stattfinden: zum Bespiel am nächsten Abend mit Anat und Aviel Schneider von Israel Today. In den ganzen Jahren haben wir viel von Aviel über geschichtliche und politische Hintergründe von Israel gelernt. Er sieht jetzt, nach dem historischen Erfolg in der Abwehr der iranischen Raketen in Zusammenarbeit mit regionalen Partnern, eine einmalige Chance, diese Kooperation weiter auszubauen. Aber wir spüren auch die Narben, die diese Zeit in den Seelen unserer Freunde hinterlassen hat. Monatelang mussten sie um das Leben ihrer drei Söhne und ihres Schwiegersohns bangen, die alle an der Front gedient haben.

Kfar Azza
Rakete aus Gaza

Die Besuche dieser beiden Tage (siehe Artikel: „Das Erbe des 7. Oktober“) werden zu unschätzbaren Erfahrungen für uns. Mitten in diesem hochgeladenen Spannungsfeld - zwischen den Folgen des Massakers aus dem Oktober und dem bevorstehenden Angriff aus dem Iran - Betroffene zu treffen, sich zusammen mit ihnen dem Schmerz, der Gefahr, den Befürchtungen zu stellen, verändert unsere Wahrnehmung und uns selber!

Der Countdown läuft – den Kämpfen so nah

Eine surreale Schicksalsnacht

Wir kommen unbeschadet am Abend wieder in Jerusalem an und treffen uns zum Abendessen mit Werner Hartstock aus Deutschland, der hier eine Solidaritätsreise leitet. Gegen 22:00 Uhr sind wir wieder in unserem Hotel.

Was danach geschieht, ist aus heutiger Perspektive schon wieder surrealistisch.
Das Heimatfrontkommando verschärft die Sicherheitsanweisungen.
Um 22:00 Uhr hören wir, dass das GPS in Jordanien, Irak, Syrien und Libanon nicht mehr funktioniert.

Um 23:00 Uhr kommen die ersten Meldungen, dass der Iran seinen Angriff auf Israel begonnen hat und dass Israel seinen Luftraum schließt. Um 23:30 Uhr bestätigt dann der israelische Militärsprecher den Angriff im Fernsehen. Die Hoffnung, dass es sich nur um arabische Fake-News gehandelt hätte, ist damit dahin. Mit der ersten Angriffswelle von „Kamikaze“-Drohnen, sollten Israels Luftverteidigungssysteme Iron Dome und David’s Sling überlastet werden, damit später Wellen dutzender ballistischer Raketen das System durchbrechen.

Ein Radarbild zeigt, dass es keinerlei Luftverkehr mehr im Nahen Osten gibt und die iranischen Raketen und Drohnen Israel ungehindert erreichen können. Um Mitternacht wird bekannt gegeben, dass die dritte Welle von unbemannten Drohnen nach Israel aus dem Iran gestartet ist. Diese Drohnen sind 200 kg schwer, befördern bis zu 60 kg Sprengstoff und haben eine Reichweite bis 2.000 km. Man kann ausrechnen, wann diese Flugkörper Israel erreichen werden.

Anweisungen Heimatfrontkommande

In Jerusalem hört man viele Kampfflugzeuge aufsteigen. Das Brummen am Himmel wird immer intensiver.

Wir haben eine Tasche mit unseren wichtigsten Dingen und Wasser gepackt. Diese werden wir in den sogenannten Schutzraum mitnehmen, wenn die Sirenen zu heulen beginnen. Eine kleine Hoffnung besteht, dass Jerusalem nicht im Fokus des Angriffs steht, weil die Gefahr, die Al Aksa Moschee zu treffen, groß wäre.

Es ist der Augenblick, wo uns eine seltsame Ruhe überkommt. Als wir diese Reise planten, waren wir uns der potentiellen Gefahr bewusst und haben sie akzeptiert, weil es uns wichtig war, den Menschen in Israel zu zeigen, wie sehr wir sie lieben und dass wir, unabhängig der Umstände, zu ihnen stehen. Wir haben unser Testament aktualisiert und alles Offene abgeschlossen. Auch meine Artikel für Pessach und zum Unabhängigkeitstag sind auf unserer Website ARC to Israel veröffentlicht und an andere Plattformen zur Veröffentlichung übergeben, genauso wie das Material für das geplante Israel Event am 14. Mai. Meinen Bericht hier aus Israel habe ich jeden Tag aktualisiert und an meine gute Freundin Ardelle geschickt, mit der Bitte im schlimmsten Fall für eine posthume Veröffentlichung zu sorgen. Wir sind also vorbereitet.

Wir legen unser Leben noch einmal ganz bewusst in Gottes Hand – und gehen danach zu Bett. Es ist 00:21 Uhr und es gibt nichts mehr, was wir Sinnvolles tun können und wir möchten nicht als Nervenbündel dasitzen und auf das Eintreffen der Drohnen und Raketen warten, das jederzeit, aber auch erst Stunden später, erfolgen kann. Allerdings bleiben wir voll angekleidet. Mir gehen die Bilder von dem 7. Oktober nicht aus dem Kopf: wie die Hamas die armen Menschen in Pyjamas entführte. Was auch immer geschieht, einen Rest Würde möchte ich versuchen zu behalten.

Unglaublich aber wahr: es gelingt uns einzuschlafen. Um 01:45 Uhr hört man drei laute, harte Explosionen. Der Iron Dome schießt Raketen über Jerusalem ab. Die Sirenen beginnen zu heulen. Wir haben ein paar Sekunden Zeit, um den provisorischen Schutzraum zu erreichen – in dem wir die Einzigen sind.

Im Schutzraum Jerusalem
Iranischer Angriff

Aber nicht alleine! Die internationale Gebetsgruppe, die wir am 8. Oktober gegründet haben, steht uns treu zur Seite - wir kommunizieren über eine Stunde lang intensiv via WhatsApp.

Das Wunder

Was in dieser Nacht geschah, ist ein Wunder. Die Luftabwehr Israels kämpfte wie ein Löwe, um das Land zu schützen und es gelang, fast jede der über 300 ankommenden feindlichen Drohnen und Raketen abzufangen. Das ist unglaublich und beispiellos. Nur ein Kind wurde durch herabfallende Granatsplitter verletzt und eine Militärbasis wurde leicht beschädigt.
Diese Nacht wird in die Geschichtsbücher eingehen und wahrscheinlich an Militärakademien gelehrt werden. Aber die Lektion bleibt unvollständig, wenn das Wirken Gottes nicht genannt wird…

Tatsächlich gelingt es uns in den frühen Morgenstunden noch einmal einzuschlafen. Doch als wir aufstehen, spüren wir die Nachwirkungen der Nacht: als die Anspannung nachlässt, fühlen wir uns völlig ausgelaugt.

Soldaten vor der Hurva Synagoge

Jerusalem nach dem iranischen Angriff. Foto privat

Rony und Ofer haben Menschen das Leben gerettet. Foto privat

In Kerem Shalom. Foto privat

Ralf zeigt uns Zerstörungen in Kfar Azza. Foto privat

Raketenüberreste in Ralfs Garten. Foto privat

Umleitung Flugverkehr iranischer Angriff
Flugzeit iranischer Raketen

Sicherheitsanweisungen

Radarbild des Luftraums über Israel

Flugzeit der Flugkörper bis Jerusalem

Im Schutzraum des Hotels beim iranischen Angriff. Foto privat

Raketenalarm in Jerusalem während des iranischen Angriffs.

Der Tag danach


Das Leben geht weiter. Für viele sogar erstaunlich normal. Als wir uns am nächsten Morgen auf den Weg zu Westmauer machen, sind die Straßen nicht leerer als in den Tagen zuvor. Aber es gibt natürlich auch andere, die sich schon seit Tagen nicht mehr getrauen die Nähe ihrer Bunker zu verlassen und deshalb auch Termine mit uns abgesagt haben.

Garten Österreichisches Hospiz

Das Leben geht weiter. Foto privat

Jerusalem ist am Morgen nach dem Angriff unversehrt. Fotos privat

Abendessen Jerusalem
Karaoke in Jerusalem

Abendessen mit Anat und  Aviel Schneider. Foto privat

Karaoke an der Straßenecke. Foto privat

Als wir gehen, singt eine kleine Band an einer Ecke. Es sind schöne, melodische Lieder. Um sie herum hat sich ein größerer Kreis gebildet, die jungen Leute hören zu und klatschen. Eigentlich wollen sie nur in Frieden leben, ohne von anderen dabei gestört zu werden. Trotz aller schmerzlichen Erfahrungen und obwohl sie des Krieges so müde sind, geben sie nicht auf. Wieder einmal ziehen wir den Hut vor diesem Überlebensmut und dieser Resilienz. Wir haben es von vielen gehört in diesen Tagen: diese junge Generation ist die Hoffnung Israels. Sie wird es schaffen, Krieg und Leid zu überwinden.

Für die Zukunft


An unserem letzten Tag in Jerusalem vor der Abreise wird uns das Herz wegen dem Abschied schwer. Uns beschäftigen Gedanken, wie wir hier auch weiterhin ein Segen sein können. Was dieser Tag noch alles bringen sollte, ist uns in keinster Weise bewusst.

 

Wir erfahren von einem Projekt, das traumatisierten Soldaten der IDF gewidmet ist. Sie sollen psychologische Betreuung erhalten, um das Schreckliche, was sie gesehen und erlebt haben zu überwinden. Viele von denen, die in den ersten Tagen und Wochen nach dem Massaker dafür verantwortlich waren, die Verwundeten und Leichen zu bergen, sind bis heute über die furchtbaren Eindrücke nicht hinweggekommen. Wie grauenhaft die Bilder waren, mit denen sie konfrontiert wurden, kann man nur erahnen, wenn man berücksichtigt, dass nach dem Massaker über 50 der Besucher des Nova-Festivals Selbstmord begangen haben, weil sie mit solchen Erinnerungen nicht weiterleben konnten.

Ebenso gibt es viele, die durch den mörderischen Häuserkampf in Gaza, wo die humanitären Einrichtungen von den Terroristen missbraucht werden und überall Fallen lauern, ebenso belastet sind.

Dieses Projekt werden wir zukünftig mit unserem Verein ARC to Israel unterstützen. Auch werde ich versuchen, durch Artikel über die Soldaten der IDF, mehr Verständnis dafür zu schaffen, wie besonders diese Armee ist und womit sie umgehen muss.

Interviu mit Soldaten der IDF

Spontan ergibt sich die Möglichkeit eines ersten Interviews. Diese jungen Männer gehören zur Golani Brigade, die als „die erste Brigade“ (die zum Einsatz kommt) bekannt ist und sind sehr stolz darauf. Ich erkundige mich, was für sie, als Soldaten der IDF, am wichtigsten ist. Die Antwort kommt prompt und von allen Seiten: die ethischen Standards und die Moral.

Sie kämpfen für Leben, für Frieden, aus Liebe und um ihr Land, ihr Volk zu beschützen. Ich schaue in die Augen dieser jungen Männer. Ich sehe keinen Hass darin, nicht einmal Wut. Aber eine stille Trauer darüber, dass dieser Kampf nötig ist. Ich möchte wissen, was das Schwerste für sie ist: sie zucken die Schultern. Darüber denken sie nicht nach. Sie haben eine Aufgabe und die wollen sie so gut wie möglich erfüllen.

Spontanes Interview mit Soldaten. Foto privat

Und sie betonen: wir kämpfen nicht gegen Zivilisten. Wir helfen Kindern und Frauen – auch im Feindesland. Leider wird dies oft missbraucht. Auf meine finale Frage, wie wir sie unterstützen können, bekommen wir, wie fast überall, wieder die Antwort: schildert, wie ihr uns erlebt habt. Erinnert die Welt daran, dass uns dieser Kampf aufgezwungen wurde und dass wir ihn zu Ende führen müssen, um danach in Frieden leben zu können.

Sandy Shoshani

Und wir treffen auch Sandy, die Leiterin von Bead Chaim.

Mit ihrer Organisation helfen sie evakuierten Frauen aus Israels zerstörten Ortschaften, die in dieser Zeit, ohne ein wirkliches Zuhause, Kinder zur Welt bringen. Seit dem 7. Oktober haben sie über 600 solche junge Mütter besucht und sowohl finanziell als auch persönlich unterstützt.

Auch dies ist ein Projekt, das wir zukünftig mit Spenden fördern werden, um diesen jungen Müttern und den neugeborenen Babys zu helfen, aus der Asche ein neues Leben aufzubauen.  

Diese Projekte und das Wissen, dass wir auch aus der Ferne weiterhin mithelfen können, Lasten zu tragen und das Leid zu lindern, machen uns den Abschied ein wenig leichter. Gute Freunde meinen, wir werden früher als wir es ahnen, wieder in Israel sein. Wir hoffen es – denn unser Herz ist hier zu Hause.

Sandy hilft werdenden Müttern aus den zerstörten Ortschaften. Foto: Sandy Shoshani

Aber wir kommen auf jeden Fall mit einem klaren Auftrag nach Deutschland zurück: auf unserer Website ARC to Israel, bei Israel-Events und in Kooperation mit anderen Organisationen zu berichten, was wir gesehen und erlebt haben.
Als erstes schreibe ich die erschütternde Geschichte der getöteten Geisel Maya, die wir am letzten Abend ganz unerwartet erfahren: „Bring Maya Home Now".

Dies ist der zweite Artikel, der die Erlebnisse dieser Tage im April, aus unserer Perspektive widergibt. Und das tragische Schicksal der Gaza Grenzregion und die persönlichen, erschütternden Erfahrungen ihrer Bewohner erhalten ihr eigenes Mahnmal aus Worten im nächsten Artikel: Verwundetes Israel - Das Erbe des 7. Oktober.

Am Israel Chai. Foto privat

Flughafen Ben Gurion

Alle fünf Artikel der Serie "Verwundetes Israel" finden Sie bei unseren Israel-Artikeln.

Wie wir das Wunder Israel erlebt haben

von Brigitte B. Nussbächer

Wir haben in Israel mit eigenen Augen wahrgenommen, wie Gott zu seinem Volk steht. Wir haben anhand von Fakten und Tatsachen gesehen, wie die Aussagen der Bibel Realität werden und wir haben überall im heutigen Israel Gottes in Erfüllung gehende Verheißungen erlebt.​

Vorausgegangen war eine eher mühsame Entscheidungsfindung. Israel einmal zu besuchen gehörte zur „Allgemeinbildung“ von Christen. Trotzdem hatte es mich nicht hingezogen und die Berichte derer, die von Reisen aus Israel zurück kehrten, hatten wenig dazu beigetragen, es zu ändern. Wenn sie von den sogenannten „Heiligen“ Stätten berichteten, fragte ich mich immer, was es mir denn bringen würde, diese Ruinen oder Gedenkkirchen anzusehen. Viel mehr interessierte mich, was Gott heute in der Gegenwart erlebbar machte.

Letztlich war es dann tatsächlich auch ein anderer Gedanke, der den Anstoß zu dem Besuch gab. 2018 feierten mehrere nach dem 2. Weltkrieg gegründete Staaten ihr 70. Jubiläum – darunter auch Israel. Nachdem wir Dokumentarfilme über Indien und Pakistan zu dem Thema gesehen hatten, fragte ich mich, wie wohl Israel diese 70 Jahre genutzt hatte. Im Vergleich zu den anderen Staaten musste es ungleich schwerer gewesen sein, aus dem Nichts etwas aufzubauen.  Noch 1867 hatte Marc Twain das Land als desolat, eine stille, traurige Weite ohne Mensch, Baum und Strauch bezeichnet. Was war daraus geworden?

Und so begaben wir uns auf eine geschichtliche Studienreise, was sich im Nachhinein als Volltreffer erwies. Nie hätten wir in einem Individualurlaub so viel erfahren und kennen gelernt.

Noch während wir vom Flughafen Ben Gurion nach Tel Aviv fahren, hören wir die Entstehungsgechichte dieser Stadt, von der Parzellverlosung an ein paar Dutzend Familien nördlich der jahrtausende alten Hafenstadt Jaffa im April 1909. Diese wollten auf den Sanddünen, die der niederländische Bankier Jacobus Kann gekauft hatte, die erste jüdische Stadt der Moderne bauen. Und dann fahren wir auch schon an den ersten Hochhäusern vorbei und nach Tel Aviv hinein, welches heute (rund 100 Jahre später) die modernste und weltoffenste Metropole des gesamten Nahen Ostens ist.


Im sehr originell und lebendig gestalteten Palmach Museum in Tel Aviv erfahren wir von dem beeindruckenden Kampf des jüdischen Volkes für seine Unabhängigkeit. Und von der Vorgeschichte: als die UN 1947 beschloss, das ehemalige britische Mandat in 2 Länder aufzuteilen: ein jüdisches und einen arabisches. Von dem Protest der Araber und von dem Druck, der auf die Juden ausgeübt wurde, diese Chance nicht zu nutzen. Von der Proklamation des jüdischen Staates durch David Ben Gurion am 14. Mai 1948 und von dem Angriff der 5 arabischen Länder Ägypten, Syrien, Jordanien, Irak & Libanon um Mitternacht am gleichen Tag.

Man muss sich die damalige Situation vergegenwärtigen. Ca. 650.000 Juden, viele von ihnen Holocaustüberlebende, die gerade erst das Grauen hinter sich gelassen hatten, versuchten Israel, welches als neugegründeter Staat keine Armee besaß, mit Gewehren, Maschinenpistolen und Granatwerfern gegen eine Mehrheit von 160 Millionen Arabern (ausgerüstet mit Panzern, Artillerie, Schützenpanzerwagen, Flugzeugen und Kriegsschiffen) zu verteidigen. Ein Verhältnis von 1 : 246!  Dabei wird einem die menschliche Ausweglosigkeit bewusst und dass das Überleben Israels ein Wunder ist.  Mit Tränen in den Augen verlasse ich das Museum. Jetzt verstehen wir, welch hohen Preis das jüdische Volk (nach der Auslöschung der 6 Millionen durch den Holocaust)  im Unabhängigkeitskrieg für seine Existenz bezahlt hat.

Umso mehr staunen wir über die Lebensfreude und Energie, die heute auf den Strassen Tel Avivs spürbar ist und die wir bei den Menschen, denen wir begegnen, erleben. Wir sehen die Fähigkeit dieses Volkes schnell aus dem Nichts etwas aufzubauen (sie haben weltweit die 2 höchste Anzahl von Start Ups), ihre Genialität Lösungen für scheinbar Unlösbares zu finden, wie zum Beispiel mit Wasserentsalzungsanlagen am Mittelmeer den Wassermangel zu beheben und durch computergesteuerte Tröpfchenbewässerung Plantagen in der Wüste anzubauen. Wir sind überrascht, dass Israel die zweithöchste Akademikerquote und die dritthöchste Patentquote der Welt hat und bewundern, dass 23% aller Nobelpreisträger aus diesem kleinen Volk, dass nur 0,2 % der Weltbevölkerung ausmacht, stammen.

Wir erleben ihre Kreativität sowie ihren Sinn für Kunst und Schönheit. Israel hat gemessen an der Anzahl der Einwohner die meisten Museen und Orchester per capita und liegt auf Platz 2, was die Anzahl der verlegten Bücher anbelangt. Wer hier ein Konzert besucht, wird einem sehr hohen künstlerischen Niveau und großer Begeisterung des Publikums begegnen.

Wir streifen durch Städte, Orte, Landschaften und sind beeindruckt: unglaublich was hier in nur 70 Jahren geschaffen wurde. Dort wo sich früher Sümpfe, Sanddünen und wüstes Land befanden, haben Pioniergeist, Innovation und Durchhaltevermögen überall blühendes Leben entstehen lassen. Israel ist das einzige Land, in dem die Wüste rückläufig ist, Millionen Bäume wurden gepflanzt und entlang der Autobahn blüht tropfenbewässerter Oleander. Aus dem armen Agrarstaat ist ein Land mit führender Technologie und einer starken Währung entstanden. Israel gehört heute zu den 10 einflussreichsten Ländern der Welt und liegt auch im Happiness Ranking vorne. (Siehe Grafik unten)

Je mehr Israelis wir persönlich kennen lernen, desto mehr schätzen wir ihre konstruktive Einstellung, ihre Dynamik und ihren Mut – trotz ihres bis heute andauernden Ringens um ihr Recht auf Existenz.

Wir hören von den Kämpfen im 6 Tage Krieg 1967, von der Befreiung der Altstadt Jerusalems und wie die Juden wieder Zugang zu ihrer heute heiligsten Stätte, der Westmauer, erlangten.

Und von dem „Tal der Tränen“, so benannt nach der anfänglich auswegslosen Situation im Jom Kippur Krieg 1973, als die syrische Armee mit über 1.000 Panzern im Norden Israels einbrach und von weniger als 200 Panzern auf israelischer Seite aufgehalten wurde.

Wir sehen den Wiederaufbau nach wiederholter Zerstörung, sei es nun die Hurva Synagoge in Jerusalem oder die Siedlungen in Gush Etzion.

 

Und wir nehmen wahr, dass selbst die häufigen Terroranschläge in dieser Gegend den Menschen weder die Lebensfreude noch den Lebensmut rauben können, auch wenn sie schmerzliche Verluste zu beklagen haben.

Wir erleben die „Wächter Israels“, die jungen Soldaten und Soldatinnen auf den Straßen, die für Sicherheit sorgen und lauschen den Zeugnissen von sogenannten „einsamen“ Soldaten, die freiwillig ihr Heimatland, Verwandte, Freunde und ein angenehmes Leben verlassen, um in der IDF (Israels Defence Forces) zu dienen. Tatsächlich spielt die IDF auch eine wichtige Rolle bei der Integration und der Schaffung eines gemeinsamen Nenners in der israelischen Gesellschaft.

Denn die Bevölkerungsvielfalt ist erstaunlich. Die Holocaust Überlebenden von überall aus Europa, die ca. 700.000 Juden, die nach Israels Gründung aus den umliegenden arabischen Ländern vertrieben wurden, die Einwanderung aus Afrika und die großen Aliyah-Wellen aus der ehemaligen Sowjetunion haben alle dazu beigetragen. Die Bevölkerungszahl Israels hat sich in den letzten 75 Jahren ver-14-facht (im Vergleich dazu hat sich die Weltbevölkerung in den letzten 50 Jahren „nur“verdoppelt).

Am liebsten hören wir jedoch die Geschichten von jenen, die freiwillig nach Israel kamen, weil sie es als ihre Aufgaben betrachten, dieses Land aufzubauen und sich mit großer Energie dafür einsetzen.

Was uns aber am allermeisten beeindruckt – und tatsächlich auch überrascht hat - ist die intensive, innige und lebendige Beziehung, die viele Juden zu Gott haben. Da uns in den säkularen, kirchlichen und freikirchlichen Kreisen, aus denen wir stammen, die Rolle und Bedeutung von Israel und dem Judentum nicht vermittelt worden war, weder als geistliche Wurzel noch für die Zukunft, waren wir implizit davon ausgegangen, dass so eine Beziehung zu Gott nur bei Christen möglich sei. Jetzt sahen wir mit eigenen Augen wie falsch diese Annahme war.

Heute weiss ich, dank dem erschütterndem Buch „Holocaust“ von Susanna Kokkonen, dass der christliche Glaube bewusst vom Judentum differenziert wurde, seit Kaiser Konstantin der Große die Anerkennung des Christentums als rechtmässige Religion einführte, sich aus politischen Gründen zum Oberhaupt der Kirche ernannte und das erste Konzil im Jahre 325 einberief. Er erklärte, dass die Juden für den Tod Jesu verantwortlich wären, also betrachtete man sie als „Gottesmöder“; verdammt und der Gnade Gottes und der Menschen unwürdig. Eine weitere Lehre dieser Zeit, die „Ersatztheologie“ besagt, dass Israel seine Rolle in Gottes Plänen verspielt hätte und die Christen nun das neue Israel seien. Die Kirchenväter vor und nach diesem ersten Konzil verleugneten den ewigen Bund zwischen Gott und den Juden systematisch, beziehungsweise glaubten, dass Gott diesen Bund aufgehoben hätte.

Der Einfluss dieser Lehren die seit über 1700 Jahren im Umlauf sind, ist erschreckend tiefgreifend. Im Grunde wurde hier schon die Legitimation für Judenhass und Judenverfolgung geschaffen, für Verleugnung und Ignoranz. Hier liegt der idelogische Ursprung von Inquisition, Progromen, Kreuzzügen und Holocaust.

Eine Konsequenz daraus war, das einerseits bei Übersetzungen versucht wurde, die Hinweise auf das Judentum auszulassen und andererseits bei vielen christlichen Themen der jüdische Ursprung nicht erwähnt wurde. Beispiele dafür sind christliche Feste, die alle ihr Äquivalent in den jüdischen biblischen Festen haben (z.B. Passah-Ostern, Schavuot-Pfingsten, Weihnachten-Chanukka) oder auch andere Bräuche: so zum Beispiel ist die jüdische Bar Mitzwa, bei der junge Erwachsene in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen werden, das Vorbild für Kommunion/Konfirmation/Jugendweihe - um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Das gleiche spiegelt sich auch in der Kunst. Wer z. B. durch die Uffizien von Florenz streift, (eines der berühmtesten Kunstmuseen der Welt mit Werken der Malerie und Bildhauerei von der Antike bis zum Spätbarock), stellt fest, dass es aus dem Alten Testament Bilder von Adam und Eva gibt. Das nächste große Thema ist die Ankündigung von Jesu Geburt. Alles was dazwischen liegt, ist ausgeblendet.

So sind sich viele bis heute des jüdischen Erbes nicht bewusst. Derek Prince, ein Bibellehrer unserer Zeit (und die, die mich schon lange kennen, wissen, dass ich jahrelang für Derek Prince Ministries gearbeitet habe), fasste es einmal so zusammen: Wir stehen tief in der Schuld des jüdischen Volkes.
Ohne dieses hätte die Gemeinde keine Patriarchen, keine Propheten, keine Apostel , keine Bibel und keinen Erlöser. Wenn uns all das fehlen würde, was gäbe es dann noch, was uns das Heil bringen könnte? Alle Nationen der Erde verdanken das Wertvollste an ihrem geistlichen Erbe den Juden.

Aber obwohl wir Derek Prince persönlich begegnet waren und viel von unserem Israel-Bild von seinen Worten geprägt war, mussten wir feststellen, dass auch wir Gefangene des Denkens der Kirchenväter waren. Auch wir hatten gedacht, dass die Juden verloren sein mussten, da man ja nur durch Jesus zum Vater kommen könne und übersahen dabei geflissentlich, dass Paulus in Römer 11 eindeutig sagt, dass Gott sein Volk nicht verstossen hat (Vers 1), dass er seine Gaben nicht zurück fordert und die Zusage seiner Erwählung nicht widerruft (Vers 29).

Und jetzt waren wir in Jerusalem und begegneten dem jüdischen Volk Israel erstmalig in seinem eigenen Land.

Was für uns ganz eindeutig wurde, war, dass die Gründung und das Überleben dieses Staates, seine schnellen Fortschritte und Errungenschaften, der Lebensmut und die Kraft, die man in so vielen Menschen in Israel beobachten kann, rational und menschlich nicht zu erklären sind, sondern auf eine besondere Energiequelle und Kraft zurück führen. Hier in Israel war Gott überall im Alltag erlebbar.

Seit über 2000 Jahren spricht die Bibel von einem lebendigen Gott, der Israel als sein Volk auserwählte und der verhieß, dies Volk nach seiner Zerstreuung wieder in das Land seiner Vorfahren zurück zu bringen und es besonders auszustatten. Dies jedoch auf einmal mit unseren eigenen Sinnen zu sehen, zu beobachten, veränderte uns.

Als wir am Ufer vom See Genezareth sassen, kam mir der Gedanke, dass Juden vorgeworfen wurde, Jesus nicht erkannt zu haben – obwohl doch das, was um ihn herum geschah, offensichtlich und eindeutig war … Und dass heute viele Christen das, was Gott in und mit Israel tut, nicht erkennen – obwohl es ebenso offensichtlich und eindeutig ist.

Wir begannen die Bibel mit anderen Augen zu lesen. Was wir bis dahin überlesen hatten, stach jetzt deutlich hervor.

Wenn man sich vergegenwärtig, dass Jesus in Matthäus 5,17 selber gesagt hat „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen“, dann kann man die Bedeutung von Israel und Jerusalem schwer überlesen.

Denn auf dem Berge Zion und zu Jerusalem wird Errettung sein – steht in Joel 3,5

Und Sacharjia weissagt in Kapitel 8, 22: Menschen aus großen und mächtigen Völkern werden nach Jerusalem kommen, um den HERRN, den Allmächtigen, zu suchen und den HERRN gnädig zu stimmen.

Jesaja prophezeit in Kapitel 60, 2-3: Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir (Zion) geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Und die Völker werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.

Wir haben in Israel mit eigenen Augen wahrgenommen, wie Gott zu seinem Volk steht. Wir haben anhand von Fakten und Tatsachen gesehen, wie die Aussagen der Bibel Realität werden und wir haben überall im heutigen Israel Gottes in Erfüllung gehende Verheißungen erlebt.

 

Die Bibel spricht in Sacharja 8,23 davon, dass „in jenen Tagen zehn Menschen aus Völkern mit lauter verschiedenen Sprachen einen Mann aus Juda am Rockzipfel festhalten werden und bitten: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott bei euch ist“ - für uns sind diese Tage bereits angebrochen…die Beziehungen zu unseren jüdischen Freunden und die Verbindung zu Israel sind zu einer der wertvollsten Konstanten, einer Bereicherung und einer Quelle des Lernens in  unserem Leben geworden.

Davidstern grün
ELAL

„Bruchim haba'im le’Israel - Willkommen in Israel” klang die Stimme des Piloten aus den Lautsprechern und das Flugzeug rollte langsam zur finalen Position. Wir sahen neugierig aus dem Fenster. Was würden wir in diesem Land, über das so viel Widersprüchliches berichtet wird und dass es vor 100 Jahren noch nicht gab, vorfinden? Ich wusste damals nicht, vor welcher lebensverändernden Erfahrung ich stand!

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